Als ich heute Morgen aufwachte war etwas anders. Verwirrt richtete ich mich von meinem Bett auf und schaute mich um. Alles noch da. Noch immer in NYC. Ich schaute aus dem Fenster, als ich merkte was los war: Die Strasse war leer. Abgesehen vom Bus fuhr kein Auto. Keine allhalbstündlich vertraute Sirene, kein Müllwagen – nichts! Da kam es mir in den Sinn: Es war 9/II Austin machte uns gestern darauf aufmerksam, als wir auf dem Gang diskutierten in welchen Club wir Freitag abtanzen wollen. Beschämt fragten wir, ob es denn überhaupt in Ordnung sei an genau diesem Freitag auszugehen (es ist nämlich auch Carla’s Geburtstag). Der bejahte heftig nickend, nur würden wir die Stadt komplett verändert vorfinden. Ich habe mir das permanent vorgestellt – wie wird die Stadt am Freitag sein? Ausnahmezustand? Trauernde Menschen mit Kerzen an jeder Ecke? Und ich wusste sie wird ruhiger sein – nur nicht auf die Art und Weise, wie ich sie heute erlebt habe. Die ganze Woche habe ich mit mir selbst gerungen, ob ich an den Ground Zero am Freitag gehen soll oder nicht. Meist nachmittags, dachte ich, dass ich es schaffen könnte aber in andern Momenten war ich mir gar nicht so sicher, ob ich der Trauer standhalten kann. Ein Glück, dass mich gestern Daniel fragte, ob ich so nett wäre ihn zu begleiten. Ich war so froh! Ich wusste mit ihm, würde das absolut geordnet von Statten gehen – erstens ist er ein Kerl, zweitens Italiener – ergo würde er sich noch mehr Mühe geben als andere eine gute Miene zu bewahren - und drittens kenne ich ihn weniger gut als andere. Er holte mich um halb 9 von meinem Zimmer ab, als ich ihm im TV, bei einer Liveübertragung (merkwürdigerweise nur ein Kanal), zeigte, wie viele Leute unterwegs waren. Trotzdem entschlossen wir uns die Subway zu nehmen, da E-Linie direkt vor der Residence runterfuhr. In der Subway aber keinerlei Gedränge. Auch aus wir als der Subway rausstiegen: keine Menschenmasse aber uns schlug etwas anderes entgegen: Die Stille. Ich kann euch diese Stille gar nicht beschreiben und allein schon, dass ich jetzt nur ein paar Stunden darüber schreibe, lässt Gänsehaut kriegen aber es war unerklärlich. Es war eine allumfassende Stille, die sich gemächlich in dein Innerstes abtastete. Wenn man für Meditationen oder für anderwärtige Aktivitäten ein Ort der Stille aufsucht, findet man da niemals die Stille vor, die ich heute gehört und für einmal eben auch GEFÜHLT habe. Diese Stille heute ergab sich, weil tausende, wenn nicht sogar 100‘000 Menschen an einem Ort waren, aber niemand gesprochen hat. Man hatte Mühe zu atmen. Ich dachte ich bilde mir das nur ein aber irgendwann stoss ich einen tiefen Seufzer von meinem Innersten aus und Daniel sagte: „Dir geht’s auch so?! Mein Gott, so was habe ich noch nie erlebt! Es ist ein Gefühl einer andauernden Gänsehaut“. Atypisch für New York an diesem Ort und an diesem Morgen: Für einmal liefen alle Menschen in eine einzige Richtung. Alle liefen nämlich einmal, um das grossräumig abgesperrte Ground Zero herum. Als hätten dies alle für sich entschlossen. Der Ground Zero selbst war nämlich für die Zeremonie für Familie und Angehörige abgesperrt worden, was ich richtig richtig gut fand. Als hätten wir es geplant, waren wir 9:03 Uhr in der näheren Umgebung des Ground Zero als die Glocken der St. Paul’s Chapel anfingen zu läuten – der Zeitpunkt als das erste Flugzeug in den Nordturm krachte. Alle - aber wirklich alle Menschen - blieben stehen. In den Gesichtern stand geschrieben, dass absolut jeder genau wusste, wo er oder sie in diesen Minuten vor genau 14 Jahren war. Dasselbe nochmals 10.28 Uhr, als der Südturm in sich selbst einstürzte. Es war in dem Sinn nicht traurig oder diese unangenehme Art von Trauer bei der du mit den Tränen oder mit dem Kolos im Hals kämpfen musst. Menschen mit T-Shirts von Bildern von den Opfern sah man selten und die waren auch ganz schnell wieder weg, weil die zur Zeremonie drin huschten. Aber eben du hast diese allumfassende Stille gefühlt. Aus dieser Atmosphäre mussten wir nach 20 Minuten raus und wir gingen runter an den Houston River, wo wir ganz tief die Meeresluft einatmeten, plauderten, dann noch in Soho einen Doughnut genossen und noch durch Littel Italy durchliefen, weil San Gennaro war. Das Wetter am Morgen trug wesentlich zur Stimmung bei – es war bewölkt und es ging ein frostiger Wind. Gegen Mittag kam die Sonne raus und durch den Regen gestern, war die Luft wie reingewaschen. Man hatte auch das Gefühl die Stadt erwachte und hat sich wieder daran erinnert, dass das Leben weitergeht. Ich konnte es natürlich nicht lassen, meine gute, wenn nicht fantastische Lehrerin Heather zu fragen, wo sie vor 14 Jahren war. Sie erinnerte sich, dass sie am College in Louisiana war und ihr Professor ihnen allen freigab, weil er am Telefon hing, um zu wissen, wie es seinen Freunden in New York ging. Heather sagte, dass Freunde, die sie heute hier in der Stadt hat, sagen, dass sich NYC seit diesem Tag komplett verändert hat. Viele konnten gerade nach dem Anschlag nicht damit umgehen, dass man Schritt für Schritt daran erinnert wurde und zogen weg. Andere, die geblieben sind sagen, dass die Stadt, dadurch freundlicher geworden ist. Man achtet nun aufeinander, ist sensibler und helft einander - was wir Schüler sehr zu spüren bekommen! Die Freundlichkeit der Menschen hier, ist nicht zu übertreffen. Wenn du verloren in der Subway stehst, wirst du IMMER an der Hand genommen und zu deiner Subway geführt. Von diesem Phänomen habe ich gehört: Psychologen in New York haben, erzählt, dass wenn Leute erst nach drei Monaten das erste Mal über ihre Erlebnisse am 9/II redeten, dass die viel gestärkter und positiver aus diesem Trauma hervorkamen, als andere, die sich unmittelbar nach den Anschlägen in Therapie begaben. Als ich sie fragte, wie sie zu den ganzen Verschwörungstheorien steht, sagte sie: „Ich will, wie die meiste Amerikanische Bevölkerung gar nicht erst daran denken. An erster Stelle steht einfach der Schmerz. Egal, welche Ursache oder wer dahintersteckte – es sind über 3000 Menschen gestorben. Und genau das, was das Ground Zero Memorial darstellt, so fühlen die Menschen: Es sind zwei Löcher in unseren Herzen, die nie gefühlt werden können.“ Innigst eure Laura P.S. Eintrag über den Rest der zweiten Woche und das kommende Wochenende folgen Montagmorgen – oder was auch immer ihr in Europa für eine Zeit dann haben werdet… Kuuuuuuus ;)