Wie vermutet, kam ich die letzten zwei Wochen sehr wenig zum Schreiben. Sooo viel ist passiert! Dafür gibt’s jetzt gerade drei Einträge auf einmal. Enjoy!
Freitag, der 25. Sept. war für mich kein einfacher Tag. Bei der Gratuade-Party wie jeden Freitag sah ich Marta, Carla, Raiza, Julien, Jérôme, Sebastian und Michi dabei zu, wie sie zum Podium nach vorn stampften, um sich ihr Diplom abzuholen. Bereits beim Hinweg an den Times Square auf dem Broadway hatte ich einen Klumpen im Hals und als ich dann die Tränen in Raizas Augen sah, als sie ihr Diplom abholte, war es um mich geschehen. Die Tränen flossen nur so runter und es war die Art von Schluchzen, die wenn man sie aufhalten will nur noch schlimmer wird.
Wir waren uns einig: Wie kann das sein, dass man Menschen schon nach nur vier Wochen so sehr ins Herz geschlossen hat? Diese Menschen waren mir hier in New York mehrheitlich eine Familie und haben diese erste Etappe auf meiner Weltreise zu einem unvergesslichen Erlebnis gemacht. An diese erste Zeit, werde ich mich ein Leben lang von Herzen gerne erinnern.
FOR THAT: I THANK YOU FROM THE BOTTOM OF MY HEART GUYS!
Nach der Gratuade-Party war es nicht besonders hilfreich, als anschliessend an das Gruppenfoto, Emily und Austin allen Absolventen eine Rose in die Hand drückten und uns alle anvisierten wir sollen doch leise sein, weil Marlenes Freund ihr einen Heiratsantrag machen will (Ihr erinnert euch? Marlene aus St. Gallen und nun Koordinatorin bei EC hier in New York). Als ich das realisierte musste ich Sarahs Arm halten, weil ich derart weiche Knie bekommen habe. Als Marlene kam und nach einer herzschmelzenden Rede von ihrem Freund natürlich Ja sagte, war ich definitiv nicht mehr zu gebrauchen. Ihr wisst wie sehr ich es hasse zu weinen noch dazu in der Öffentlichkeit aber was auch immer da raus musste – nach einer Stunde war der Wasserhahn dann endlich versiegen. Ich war buchstäblich leer – und das auf eine richtig gute Art und Weise. Anschliessend gab’s am Abend natürlich noch ein letztes Mal Billard im Fat Cat mit all diesen Schätzen und ein hochemotionaler Tag nahm sein Ende.
Samstag genoss ich am Morgen das Joggen am Hudson River mit Alicia und anschliessend gönnte ich mir einen Tag lang das Metropolitan Museum of Art. Das einzig traurige dabei: Obwohl ich an die fünf Stunden darin verbracht habe, habe ich nicht ein Achtel vom ganzen Museum gesehen. Und man muss dazusagen, dass es sich wirklich lohnt. Am Abend mussten Julien und ich uns eingestehen, dass wir keine Chance bei der Lottery auf das „Global Citizen Festival“ hatten und gingen mit Sarah stattdessen an ein Konzert, der Band Fidelar. Nicht der Rede wert – wir sind nach dem dritten Lied gegangen, nachdem schon die Vorband nicht gerade unsere Welt war. Will heissen zu viel Rock und kein sonderlich angenehmes Publikum. Es gab dann noch Tacos bei einem Mexikaner und ich war froh, dass es auch an diesem Tag einigermassen zu einer christlichen Zeit ins Bett ging.
Christlich ist ein gutes Stichwort, denn Sonntagmorgen ging‘s natürlich für mich wieder nach Harlem. Mein Sonntag in Harlem – Gott wie ich den vermissen werde… denn es war mein letzter, da ich nächstes Wochenende hoffentlich bei Sonnenschein und 30°Grad an einem Pool in Florida liegen werde (siehe Kapitel 12).
Diesen Sonntag begleiteten mich Alicia, Julien und Sarah zur Messe. Diese Messe ging mir dieses Mal auf eine ganz andere Art und Weise nahe. Der Priester war dieses Mal sehr nachdenklich und erst und man merkte ihm an, dass ihn etwas beschäftigt. Er erzählte, wie nachdenklich es ihn gemacht hat, als am vorangehenden Freitag der Papst in der Stadt war. Papst Francis, wie sie ihm hier sagen, redete davon, dass man in der Stadt auf einem so engen Aufeinander Leben, sehr viel mehr auf den Nächsten achten soll. Denn das würden uns Menschen doch ausmachen… Tausende jubelten ihm zu und die Welt schien in Ordnung. Und genau das machte den Priester traurig. Als hätten all diese Worte und Gedanken das allererste Mal gehört und darüber nachgedacht. Er sei sich ganz sicher, dass als all diese Menschen aus dem Madison Square Garden hinausströmten, sie dasselbe Verhalten ihren Mitmenschen gegenüber an den Tag legten wie immer. Sowohl ihren engsten Mitmenschen als auch den Menschen, die vor unserer Nase auf Hilfe angewiesen sind. Oft – sehr oft – hatte ich diese Diskussion mit diversen Menschen und ganz intensiv mit Claudio in letzter Zeit. Natürlich können und sollen wir nicht allen helfen. Aber was dann? Wie sieht Menschlichkeit denn sonst aus?
Wie eine Antwort auf diese Frage aussehen könnte, zeigte sich im restlichen Verlauf des Tages. Alicia und Julien verabschiedeten sich und Sarah und ich wanderten in Harlem umher. Ich fand es sehr lustig, als Sarah genau dasselbe Bistro gefiel, indem ich schon die Sonntage zuvor darin gegessen habe. Nach französisch-amerikanischer Art wurde ich sehr herzlich begrüsst und Sarah und ich erzählten uns bei einer köstlichen Portion Moules et frites aus unserem Leben. Wir erzählten uns so viel, dass wir nach dem Essen in ein Cap springen mussten, um noch rechtzeitig bei Marjorie Eliot anzukommen, wo uns Simon bereits erwartete.
Auch sie riss die Arme in die Höhe und diese kleine Portion von Frau umarmte mich innig, als sie mich wiedersah. Die Session an diesem Nachmittag lud einfach nur zum Träumen ein… und am Ende sagte Marjorie Worte, die ich hoffentlich mein Leben lang nicht vergessen werde. Sie bedankte sich von ganzem Herzen für diese Sonntagnachmittage, die ihr so viel Kraft und Liebe geben würden. Dass sich an die 20-30 Menschen aus aller Welt an einem Sonntagnachmittag trauen in Harlem die Einladung einer afroamerikanischer Frau anzunehmen, war vor einigen Jahrzehnten nicht möglich. Diese Session gäbe ihr Kraft dran zu glauben, dass der Weg, für ein friedliches Zusammenleben in Amerika, zu bestreiten sei.
Ich wollte mich bei ihr noch persönlich verabschieden und sie fragte mich: „Darling aren’t you coming back this year?“ Ich musste ihr versprechen, dass ich mich aber unbedingt nächstes Jahr bei ihr wieder blicken lassen muss (die Frau ist über 90) und bis dahin: „Don’t forget Honey: Our hearts will always be connected“
Ich glaube, dass ist die Form der Menschlichkeit, die wir anstreben müssen. Freundlichkeit und Herzlichkeit mit fremden Menschen und vor allem wieder für unsere Mitmenschen zulassen. So wie die Kellner aus dem Bistro, die Gespräche mit Sarah und so wie Marjorie Eliot. Die, was auch immer sie tut, Martin Luther King’s Rede „I have a dream“ im Hinterkopf hat.
Der Abschluss des Tages machten Cédric und Simon noch in der 550th Rooftopbar unter dem roten Mond perfekt. Als ich nach Hause, durch Midtown lief, dachte ich an die vielen unerwarteten und schönen Begegnungen und Erlebnisse an diesem Wochenende. Das waren nicht nur einfach Erlebnisse und Begegnungen. Es waren Geschenke. Und für die hätte ich nicht dankbarer sein können.
Herzlichst Eure Laura